"Wozu das alles?"

Ein Essay über den Nutzen des Schreibens für mich – und vielleicht auch für andere

Ich schreibe. Seit einiger Zeit regelmäßig. Und mit zunehmender Entschiedenheit.
Was ich dabei immer wieder spüre, ist: Es bringt mich weiter. Nicht im Sinne von Erfolg, nicht im Sinn von Klickzahlen – sondern innerlich. Und trotzdem frage ich mich regelmäßig: Wozu das alles? Welchen Nutzen hat das, was ich tue? Für mich? Für andere?

Schreiben kostet Kraft. Es verlangt Konzentration, Mut, Unklarheit zuzulassen. Und Geduld. Es bringt keine unmittelbaren Belohnungen, und oft auch keine Rückmeldung. Man schreibt ins Offene, manchmal ins Leere. Und trotzdem mache ich weiter. Nicht, weil ich es muss – sondern weil ich merke, dass ich es brauche.

Was mich treibt, ist nicht die Idee, etwas mitzuteilen. Sondern das Bedürfnis, etwas zu verstehen. Es sind Gedanken, die keinen anderen Ort haben. Gefühle, für die es keine Form gibt – außer der Sprache. Joan Didion hat es einmal schlicht gesagt: „I write entirely to find out what I’m thinking.“ Ich erkenne mich beim Schreiben nicht vollständig. Aber ich erkenne Muster. Bewegungen. Widerstände. Ich schreibe mich nicht aus mir heraus – sondern in mich hinein.

Das ist der erste Nutzen: Ich entwickle mich. Nicht immer sichtbar, aber spürbar. Schreiben ist für mich kein Ausdruck – es ist ein innerer Prozess, der mir erlaubt, mich auf eine Art ernst zu nehmen, die im Alltag sonst keinen Raum findet. Ich kann dadurch besser leben, nicht weil es „heilt“, sondern weil es mich ins Verhältnis zu mir selbst setzt.

Aber reicht das als Legitimation für öffentliche Texte? Ist es berechtigt, etwas zu veröffentlichen, das vor allem mir selbst dient?

Ich glaube: ja. Denn in dem Moment, in dem ich einen Text veröffentliche, verändert sich seine Richtung. Es bleibt zwar mein Weg, aber er wird begehbar für andere. Nicht weil ich ihnen etwas zeigen will – sondern weil ich etwas teile, das sie vielleicht wiedererkennen. Keine Meinung, kein Konzept. Aber eine Spur.

Leserinnen und Leser brauchen keine Lösungen. Sie brauchen Räume. Der Essay – in seiner besten Form – ist genau das: ein Raum, in dem gedacht werden darf, ohne Ergebnisdruck. Ein Ort, an dem das Unsichere nicht ausgeblendet wird, sondern Teil des Prozesses ist. Adorno nannte den Essay „die Form, in der das Ich denkt“. Ich würde sagen: Es ist eine Form, in der das Ich überhaupt denken darf – jenseits von Nutzen, Pflicht oder Selbstvermarktung.

Natürlich zweifle ich manchmal an all dem. Ich frage mich, ob das genügt. Ob man damit ernst genommen werden kann. Ob Wirkung immer sichtbar sein muss. Aber ich glaube, Zweifel ist keine Schwäche des Schreibens – sondern seine Grundlage. Ohne ihn wird Sprache schnell Behauptung.

Und trotzdem bleibe ich dabei. Ich schreibe weiter. Ich veröffentliche. Nicht laut, nicht regelmäßig, nicht perfekt – aber mit Überzeugung. Weil ich glaube, dass Schreiben nicht nur Selbstvergewisserung ist. Es ist Beziehung. Zwischen mir und der Sprache. Zwischen Text und Leser. Zwischen Gedanken, die sich sonst nie begegnet wären.

Vielleicht ist der Nutzen des Schreibens nicht messbar. Nicht monetarisierbar. Vielleicht ist er leise. Aber er ist da. Für mich – und manchmal auch für andere. Und vielleicht ist das der einzige Maßstab, der zählt.

– Oliver Schein 

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